Kursbericht - Expedition and Wilderness Medicine für Alpinärzte 2014

von Jörg Leidenfrost

Vom 5. bis 12. April 2014 fand der diesjährige „Speziallehrgang Expedition und Wilderness Medicine“ für Alpinärzte der BExMed in den Schweizer Alpen statt. Der passende Rahmen für diese rundum gelungene Veranstaltung im wunderschönen Wallis, wurde durch diverse Eckpfeiler gebildet.

Allem voran durch das Duo Dr. med. Uli Steiner sowie dem Urgestein der Alpin- und Expeditionsmedizin Dr. med. Wolfgang Schaffert. Diese beiden sind im deutschsprachigen Raum zusammen mit ihren österreichischen Kollegen Garanten, für eine reibungslose Leitung und Organisation eines Kurses solchen Kalibers. Tatkräftige Unterstützung erhielten sie durch unsere Referentin/-en Petra Bayer, Hajo Netzer und Dipl.-Psych. Jan Mersch, welche uns in den folgenden Tagen auf einige 4.000er der nordwestlichen Monte Rosa führten.

Ein weiterer Eckpfeiler ist Rosi! Sie und ihr Mann Rudi sind die guten Seelen, des in Bergsteigerkreisen wohl bekannten Hotels Bergfreund in Herbriggen. Rosi sowie ihr gesamtes Team, des gesund gewachsenen Familienbetriebs Remo Almendinger sorgten für unser aller Wohl in jeglicher Hinsicht. Sehr beeindruckt hat mich Rosi bei unserer ersten Begrüßung. Obwohl wir uns nicht kannten, lädt sie einem als Mensch mit ihrer Herzenswärme in ihr Haus ein, wie man es sich vielleicht anderenorts als Stammgast wünschen würde. Weiterhin pflegt Rosi ein Ritual das zu einer langen Tradition in ihrem Leben geworden ist. Sie widmet ihren Gästen die am Berg sind eine besondere Aufmerksamkeit und damit trägt ihr Hotel zu recht den Namen Bergfreund.

Damit nun dieser Rahmen an endgültiger Stabilität gewinnt, benötigt man noch zwei Pfeiler. Erstens eine Kulisse die den meisten unter uns Teilnehmern im tagtäglichen Leben als Medicus in dieser Art nicht geboten wird. Da beim Anblick der majestätisch - thronenden Gipfel das Ego in unserem Weltendasein auf einmal wieder so winzig erscheint. Und zweitens auch etwas Glück mit dem Wetter, welches uns ebenfalls wohl gesonnen schien.

Wir waren 20 Teilnehmer/-innen aus Österreich und Deutschland, damit war der Kurs ausgebucht. Alle Fachrichtungen von A bis Z, wie auch Hierarchien (die am Berg keine Relevanz haben) waren vertreten, so dass jeder seine Expertise einbringen konnte. Die Gruppenstruktur fand ich persönlich als sehr angenehm.

Nach der Anreise konnten wir den Kurs mit gewohnter Vorstellungsrunde pünktlich beginnen. Der theoretische Teil des Kurses lebte hauptsächlich von gemeinschaftlicher Gruppenarbeit zu vielen relevanten Themen der Expeditionsmedizin, gefolgt von ergänzenden Fachbeiträgen im interaktiven Diskussionsstil. So war zumindest der dauerhaften Ermüdung vorgebeugt.

Noch am Anreisetag erfolgte vor dem köstlichen Abendmahl der Materialcheck, so dass ggf. am Folgetag in Zermatt fehlendes und teureres Material hinzugekauft werden konnte. Zum Ausklang des ersten gemeinsamen Tages, berichtete uns Hajo über Expeditionen nach Patagonien und in die Antarktis.

Sonntag

Der Vormittag wurde zur intensiven Gruppenarbeit genutzt. Dabei wurden neben juristisch / finanziellen Aspekten eines Expeditionsmediziners auch klassische Themen wie Kälteschäden und Reise- / Tropenmedizinische Inhalte erarbeitet und vermittelt. Am Nachmittag besuchten wir in Zermatt die Basis der ansässigen Air Zermatt. Leider hatte die Crew bei frühlingshaften Temperaturen so viele Einsätze zu fliegen, dass wir diesmal mit einem Film über das

Unternehmen vorlieb nehmen mussten. Daraus ergab sich der Umstand, dass wir im Anschluss deutlich mehr Zeit zur Übung der Spaltenbergung mittels loser Rolle Technik hatten. Des Weiteren errichteten Petra und Hajo einen Fixseilparcours, an dem wir den korrekten Umgang unserer Steigklemme üben konnten. Im Anschluss daran blieb Zeit zum lustwandeln und staunen in Zermatt. Petra lieferte uns nach erneutem reichhaltigem Abendessen einen außerordentlich beeindruckenden Expeditionsvortrag über die Besteigung des Broad Peak im Karakorum.

Montag

Der erste Tourentag stand an. Aber zunächst wurde im Tal und der Höhe bei jedem Teilnehmer, in Ruhe die Sauerstoffsättigung mittels Pulsoxymeter gemessen. Anschließend erfolgte nach kurzzeitiger starker körperlicher Belastung eine erneute Messung auf dem kleinen Matterhorn (3883m). Der verminderte Sauerstoffpartialdruck machte sich hierbei gravierend bemerkbar. Wie mag das nur erst in extremer Höhe oder gar der Todeszone sein? Weiter ging es gemütlicher mit unseren/ -r Bergführern/ -in auf den Gipfel des Breithorns. Die grandiose Fernsicht zum Mont Blanc Massiv war überwältigend. Ein Teilnehmer hatte beim Aufstieg etwas Pech mit seinem Leihmaterial, so dass Hajo in akrobatischer Monoskitechnik die Breithornabfahrt mit Bravour meisterte. Weiter talwärts fuhren wir zunächst bei herrlichem Firn gefolgt von ziemlichem Sulz über den Theodul– bzw. Gornergletscher ab.

Die abschließende Rast auf der Furihütte war allen Teilnehmern sehr willkommen.

Zurück im Hotel konnte Wolfgang ausgiebig nach AMS, HAPE & HACE über die „Diclofenac Durchseuchung“ der gesamten Bergsteigerpopulation referieren. Es gab eine Vorführung im richtigen Umgang mit dem CERTEC-Bag und den WENOLL-System. Daraufhin erfolgte die Gruppen- und Proviantaufteilung für die kommenden Tage.

Dienstag

Das Wetter war wie angekündigt kurzzeitig umgeschlagen, im Tal ein mäßiger Frühlingsregen - in deutlich höheren Lagen Schneefall mit bescheidenen Sichtverhältnissen.

Dank Rudi mit dem Kleinbus bis Saas Fee und weiter mit dem Alpin Express bis zum Fuße des Felskinn. Von dort aus fellten wir auf und nahmen den Ziehweg zur Britanniahütte (3.030m). Da die Sicht- und Wetterverhältnisse für diesen Tag für eine Skitour zu schlecht waren, nutzte unser Ausbilderteam das umliegende Gelände der Hütte und errichtete einen schönen Fixseilparcours. Mit Wolfgang und Ulli übten wir bis zum totalen Materialverlust den behelfsmäßigen Abtransport eines Verletzten mittels Biwaksack.

Mittwoch

Die Wolken samt Niederschlägen des Vortags waren im wahrsten Sinne vom „Winde verweht“. Es herrschten somit gute Tourenbedingungen. Zwei Gruppen durften bereits etwas eher aus ihren Federn kriechen. Damit bot sich dem Betrachter beim Aufstieg auf dem Allalingletscher ein wahrlich grandioser Sonnenaufgang. Der dabei talwärts ziehende kräftige Bergwind hindernde uns nicht am zügigen vorankommen. Schließlich hatten wir unser Ziel – das Strahlhorn (4.190m) stets vor Augen. Zwischenzeitlich hatte der starke Wind mit uns ein Einsehen, dass sollte sich aber auf dem oberen Plateau, welches wir mit Steigeisen und in Seilschaft absolvierten, drastisch ändern. Hier hatten wir erheblich mit starken Windböen (um die 90 Km/h schätzte Petra) zu kämpfen. Daher entschieden wir uns ca. 50m unterhalb des Gipfels, wo wir ein Skidepot hätten errichten müssen zur sofortigen Umkehr. Es drohten bei Materialverlust Erfrierungen aufgrund dieser Exposition. Spätestens jetzt wurde jedem Teilnehmer klar, was dies für Folgen bei einer „richtigen Expedition“ haben würde.

Die zwei anderen Gruppen waren mit ihrer Besteigung des Allalinhorns (4.027m) erfolgreicher. Am frühen Nachmittag trafen sich alle Gruppen zu einer wohlverdienten Jause auf der Hütte. Der psychologisch theoretische Teil im Anschluss daran, wurde von Jan mit der Frage nach dem eigenen ICH im Alltag, wie auch auf einer Expedition sehr anschaulich vermittelt. Der Ausklang des Tages erfolgte mit einem guten Tropfen roten Traubensaft.

Donnerstag

Wir hatten Kaiserwetter und das war für unser Tagesziel grandios. Nach einem stärkenden Frühstück verabschiedeten wir uns bei den lieben Wirtsleuten der Britanniahütte. Die gesamte Gruppe zog mit voller Ausrüstung Richtung Biwakplatz. Nach einer kurzen Einweisung ins Schneehöhle bauen, begann der vier- bis sechsstündige schweißtreibende Marathon mit der Buddelei. Schöne Kindheitserinnerungen wechselten sich dabei so manchmal mit einem Schimpfwort ab. Alle hatten ihre Aufgaben, vom Tiefbauer bis zum Innenraumausstatter war jeder ins Geschehen involviert. In Summe war es ein unvergessliches Erlebnis und gehört definitiv zu diesem Kurs! Parallel dazu errichtete uns Wolfgang (am Platz mit der längsten Abendsonne wohlgemerkt) eine vorzügliche Tafel mit passenden Sitzmöglichkeiten und Windschutz. Auch eine Latrine durfte natürlich nicht fehlen.

Zur besseren Akklimatisation (hoch steigen tief schlafen) des schon anstrengenden Tages, unternahmen viele von uns noch eine schöne Skitour auf das Fluchthorn (3.795m). Für meine Begriffe mit der besten Abfahrt des gesamten Kurses. Es folgte in sehr geselliger Runde und idyllischer Abendstimmung ein unvergesslicher Abend. Wurst, Speck, Käse, Oliven und Travellerlunch sind exemplarisch an dieser Stelle der Spezialitäten zu nennen. Bei Glühwein (mit und ohne potentiellen Kopfschmerz) saßen wir unter einem riesig klaren Sternenzelt bis tief in die Nacht. Dabei sangen wir Klassiker von STS, tanzten und lachten ausgiebig. Die Gruppe deren Schneehöhle fast völlig leer stand, stellte sich die berechtigte Frage, dass sechs Stunden Buddelei und fünf Stunden Ruhe unverhältnismäßig sei.

Freitag

Wer feiern kann, kann auch arbeiten. Also begrüßte uns der Morgenhahn pünktlich sechs Uhr inklusive der ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Nach einem kurzen Frühstück in oder vor jeder Höhle wurde das Biwaklager geräumt. Jeweils zwei Gruppen fuhren etwas später direkt über das Mattmark in Richtung Saas Almagell ab. Die anderen beiden Gruppen stiegen zunächst auf dem Allalingletscher zum Adlerpass (3.789m) zwischen Strahlhorn und Rimpfischhorn auf, um von dort aus über den Adler- und Findelgletscher Richtung Zermatter Skigebiet abzufahren.

Bei dem vereinzelt schneereichen Winter, hätte man sich bei dieser Abfahrt überhaupt Firn oder etwas Neuschnee durchaus gewünscht.

Zurück bei Rosi im Hotel Bergfreund

Irgendwann am Nachmittag kamen wir alle zurück, zu unserer Rosi im Hotel Bergfreund.

Nach einer Dusche, einem theoretischen Abschlusstest und einer kurzen gemeinsamen Feedbackrunde konnte uns Hajo einen sehr interessanten Fall zu einer seiner Expeditionen präsentieren. Am Ende ist man bei solch Unternehmungen für sich selbst verantwortlich und kann sich glücklich schätzen wenn man einen so engagierten Bergführer an seiner Seite weiß.

Die Bedeutung der Qualifikation Expeditionsarzt ist nicht zu unterschätzen

Das Fazit zur Entwicklung der Expeditionsmedizin dieses Kurses, ist leider auch neben sehr viel theoretisch und praktisch gelerntem erschütternd. Denn bereits 2007 berichtet Helga Vollendorf in ihrem Kursbericht, dass es sich „für einen Arzt nicht lohnt, als offizieller Expeditionsarzt eine Expedition zu begleiten“. An diesem Sachverhalt hat sich auch sieben Jahre später gar nichts geändert. Die Verantwortung, die man als offizieller Expeditionsarzt trägt, steht aktuell in keinem sinnvollen Verhältnis zu dem enormen Aufwand vor, während und nach einer Expedition. Deshalb sei mir an dieser Stelle ein Appell an uns Ärzte, aber auch gerade an die Expeditionsteilnehmer gestattet, dass die Bedeutung der Qualifikation Expeditionsarzt bitte nicht zu unterschätzen ist.

Rudi und seine Alphornkollegin stimmten uns mit ihrer eindrucksvollen Darbietung auf ihren Alphörnern auf einen original schweizerischen Fondueabend ein. Neben dem ausgezeichneten Walliser Vorspeisenteller, gab es ein exzellentes Käsefondue mit einem gebietstypischen Fendant. Da uns leider einige Kolleginnen und Kollegen am späten Nachmittag verlassen mussten, ist diesen ein kulinarischer Abend mit traditionell schweizerischer Küche entgangen. An der Bar des Hauses konnten wir den Abend mit einem Wochenrückblick entspannt ausklingen lassen.

Ein herzliches Dankeschön

Im Namen aller Kursteilnehmer/- innen möchte ich mich herzlich bei unserem Betreuerteam um Uli, Wolfgang, Petra, Hajo und Jan bedanken. Ihr und auch wir waren am Freitag im Hotel wieder angekommen, sichtlich erleichtert, dass in dieser spannenden Woche keine nennenswerten Zwischenfälle zu beklagen waren.

Liebe Rosi, dir und deiner (Hotel-)Familie gilt ein besonderes Dankeschön.

Danke für die fantastische Zeit, wir freuen uns auf das Wiedersehen in Obergurgl.

Zurück