von Markus Stuhr und Malte Kamrath
Fangen wir mal mit dem gemeinsamen Fazit aller Beteiligten an: Schee wars! 21 Teilnehmer treffen - der inzwischen jährlichen Tradition folgend - im Wallis auf die „Expeditionsleiter“ Wolfgang Schaffert und Ulli Steiner mit ihrem Team bestehend aus Jan Mersch, Peter Albert und Pierre Müller (für den leider verletzten Hajo Netzer). Wo? Im wunderbaren Hotel Bergfreund in Herbriggen im Mattertal, auch das inzwischen eine langjährige und bewährte Tradition. Einen besseren Ort zum Start in die „Expedition“ kann man sich auch nur schwer vorstellen: Rosie und Rudi mit ihrem Team als herzliche Gastgeber, ein gemütliches und modernes Ambiente, ausgezeichnetes Essen und der Blick auf das Breithorn. Dementsprechend gut war die Stimmung auch in diesem Jahr zur Begrüßung. Zunächst stand das berühmte „Kennenlernen“ auf der Tagesordnung. Wer an dieser Stelle nun allerdings das berüchtigte Wollknäulspiel erwartet hatte, wurde auf angenehme Weise überrascht. Galt es doch zunächst einmal, sich in rascher Folge diesen Gruppen zuzuordnen: Leistungseinschätzung (bis 800 Hm, 800 - 1500 Hm, 1500Hm+), Fachgebiet (ja, die Anästhesie war am stärksten vertreten, ansonsten Unfallchirurgie/Orthopädie, Innere/Allgemeinmedizin, Pädiatrie, Urologie und Gynäkologie), Familienstand/Kinder und weitere Kategorien. Besonders kreativ wurde die Aufgabe gelöst, die Umrisse des eigenen „Wohnlandes“ mit Hilfe eines Bergseils auf den Boden zu legen… Wie die Bergführer um Ulli Steiner im Kopf daraus Gruppen gebildet haben, bleibt ein Mysterium. Nachdem sich jetzt alle kannten (zumindest theoretisch….), standen die ersten Lerninhalte an.
Dem Charakter der Veranstaltung entsprechend gab es eine ganze Reihe theoretischer Lerneinheiten, die in unterschiedlicher Form (Kleingruppenarbeit und Vorträge mit viel Platz für Diskussionen) und sehr abwechslungsreich gestaltet waren. Die Fülle der Themen war dabei von A wie Apotheke bis Z wie Zahnschmerz dem international anerkannten Curriculum folgend sehr umfangreich, dementsprechend kurz die Zeiten komplett ohne Programm oder „Unterricht“. Genial geplant war der Besuch bei der Air Zermatt am Sonntag – dem einzigen Tag mit tatsächlich grauenhaftem (Regen-)Wetter. Hervorzuheben sind das unfassbare Wissen und die Erfahrung eines Wolfgang Schaffert und der sehr persönliche Vortrag von Jan Mersch zum Thema „Psychologie auf Expeditionen“. Vermutlich waren danach einige mit ihrem inneren Team beschäftigt. Letztlich haben aber alle Referenten durch ihre Authentizität bestochen und die Themen dadurch sehr praxisnah vermittelt. Durch die persönlichen Expeditionsberichte von Ulli, Wolfgang und Pierre wurde immer wieder der Fokus auf das Thema „Expedition und Wildnis“ gelenkt. Zum Abschluss gab es am Freitag nochmal eine theoretische und praktische Auseinandersetzung mit den Themen „Überdrucksack“ und „Wenoll-System“.
Theorie trifft Praxis. Diesem Motto folgend begann der „alpine“ Teil der Woche am Montag mit einem eindrucksvollen Selbsterfahrungsversuch: 100 Meter Sprint im Stollen der Bergstation am Kleinen Matterhorn mit Messung von SpO2 und Herzfrequenz davor und danach. Stellenweise ließen sich dabei Entsättigungen bis 79% nachweisen. Nachdem sich alle wieder erholt hatten ging es bei bestem Wetter auf das Breithorn. In jeder Hinsicht ein prachtvoller Tag, denn wann hat man schon Gelegenheit, als erste Gruppe unverspurt von einem solch prominenten Gipfel abzufahren? Nach rund 2500 Hm Abfahrt klang diese Tour im Bergrestaurant Furri aus. Abends wurden die Expeditionsteilnehmer dann mit den Nahrungs- und Getränkevorräten für das Schneehöhlenbiwak überrascht. Besonders die Getränke hatten es gewichtsmäßig in sich. Die „Höhlenteams“ hatten sich schnell gefunden, so dass die Rucksäcke gepackt werden konnten. Am nächsten Tag standen dann der Wechsel nach Saas-Fee und der Aufstieg auf die Britanniahütte an. Aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls eines Bergführers und der unsicheren Wetterlage wurde auf dem Weg dorthin statt einer Skitour am Egginerjoch eine Ausbildungseinheit integriert. Neben einem Fixseilparcours wurde die behelfsmäßige Rettung mittels Biwaksackverschnürung geübt. Da die Wetterprognose für den nächsten Tag Besserung versprach, starteten am Mittwoch trotz morgendlicher Nebelküche alle in Richtung Gipfel. Die Gruppe von Ulli in Richtung Strahlhorn und alle anderen mit Jan, Peter und Wolfgang in Richtung Allalinhorn. Nachdem die Angestellten des Metroalpin von Jan Mersch überzeugt werden konnten, uns trotz wetterbedingter Schließung in Richtung Mittelallalin zu befördern, war die erste Herausforderung geschafft. Angesichts der (nicht vorhandenen) Sicht stand dann allerdings erstmal Warten auf dem Programm, so dass verschiedene theoretische Inhalte (z.B. Wetterkunde) bei einer heißen Schokolade und Cappuccino vertieft werden konnten. Nach ca. einer Stunde wurde das Warten belohnt und der Aufstieg konnte bei immer besser werdender Sicht beginnen. Zwei Stunden Aufstieg später standen alle am Gipfel - angesichts des starken Windes allerdings ein eher kurzes Vergnügen. Zum zweiten Mal nach dem Breithorn hatten wir das Vergnügen, einen unverspurten Hang befahren zu dürfen – großartig! Im Mittelteil bot die Abfahrt angesichts der Spaltensituation einige Herausforderungen, die dank des stimmgewaltigen Einsatzes von Jan und Peter aber von allen gemeistert werden konnten.
Die Strahlhorngruppe startete erst gegen 6:30 Uhr, nachdem sich keine der Seilschaften so richtig motiviert in die Nebelsuppe stürzen wollte. Bei mittleren bis mäßigen Sichtverhältnissen, dafür aber stärkerem Wind genossen wir mit den Stirnlampen die erste Abfahrt von der Britanniahütte auf den Allalingletscher – perfekter, bockhart gefrorener Harsch. Aber es wurde nach und nach immer besser, die Sonne zeigte sich häufiger und wir konnten zwischen den Wolkenfetzen gelegentlich unser begehrtes Ziel sehen – das Strahlhorn mit 4.190m war ein lohnender Gipfel, wenn auch mit einem 1300 Höhenmeter Anstieg verbunden. Nachdem wir die letzten 500 Höhenmeter wegen der Spaltensturzgefahr am Seil gegangen sind, konnten wir gegen 12 Uhr den Gipfel mit den Steigeisen erreichen. Endlich Sonne und eine grandiose Aussicht, nur der starke Wind machte unser Gipfelglück zu einem kurzen Vergnügen. Nach einer schnellen „Mittagspause“ am Skidepot hatten wir die Ehre als zweite Gruppe die Hänge vom Strahlhorn einzuspuren – bis hinunter zur Britanniahütte waren wir sogar die erste Gruppe in knapp 20cm Neuschnee!
Nach einer praktischen Einweisung in die Theorie des Schneehöhlenbaus ging es über den Allalingletscher hinauf knapp unter das Fluchthorn, wo von Ulli windgeschützt am Fuß einer Felsinsel der perfekte Ort für 5 Schneehöhlen erspäht worden war.
Es dürfte unter allen Expeditionskursteilnehmerinnen und -teilnehmern Einigkeit bestehen, dass diese Nacht (und der Abend mit dem „Biwakdinner“ vor der Nacht …) der Höhepunkt des Kurses war. Zunächst war da die Herausforderung zu meistern, für 4 - 5 Personen ein akzeptables Nachtquartier aus dem Schnee zu stemmen. Akzeptabel bedeutete in diesem Fall, dass die Abnahme durch Ulli Steiner erfolgen musste. Nicht überliefert ist, ob das ein oder andere Team an dieser Stelle mit dem einer oder anderen trauben-basierten Getränk nachgeholfen hat…..nun denn, irgendwann (…nach 5 Stunden) war auch die letzte Schneehöhle fertig, nachdem Jan Mersch die Geheimwaffe in Form einer Schneesäge hervorgezaubert hatte. Was danach kam, war ein in jeder Hinsicht erinnerungswürdiger Abend in der Biwakküche. Nachdem sich bei Rot- und Weißwein alle über das umfangreiche „Expeditionsmenu“ aus gefriergetrockneten Fertiggerichten, Käse, Wurst, Nüssen, Pistazien und anderen Leckereien hergemacht hatten, ergab sich das „Kulturprogramm“ ganz von selbst. Neben Berggeschichten und nicht zitierfähigen Arztwitzen ist es v.a. der Gesang, der in Erinnerung bleibt. Sowohl das Repertoire als auch die Ausführung waren beeindruckend, ein Höhepunkt sicherlich das Halleluja vom Altmeister Cohen, während die Sonne hinter den Walliser Bergen verschwand. Irgendwann krochen alle weinselig in die Schlafsäcke um dann am nächsten Morgen festzustellen, dass so eine Schneehöhle deutlich mehr Komfort bietet als angenommen.
Nach einem kurzen Frühstück bei herrlichem Sonnenschein wurde zusammengepackt und der kurze Gegenanstieg zum Ausgangspunkt der Abfahrt nach Saas Almagell in Angriff genommen. Diese beeindruckte durch ihre Länge und das Panorama, das sich nahezu auf der gesamten Länge bewundern ließ. Am Wartepunkt auf den Transferbus angekommen, wurden die restlichen Vorräte an Speck und Käse vernichtet, bevor es auf die Rückfahrt nach Herbriggen ging.
Ein kleines aber ganz wunderbares Alphornkonzert von Rudi, gute Gespräche und eine Menge Austausch - auch für das Leben und die Arbeit außerhalb des Themas „Expedition“. Und dieses ganz besonders am letzten Abend, an dem sich bei einem herrlichen Käsefondue noch einmal die Walliser Gastfreundschaft offenbarte. Es wurde ein langer und schöner Abend.
Expeditionsmedizin ist in jeder Hinsicht eine große Herausforderung und umfasst einen großen interdisziplinären Bereich. Wer improvisieren und konsequent, klug und im Zweifelsfall auch unkonventionell entscheiden kann, ist im Vorteil. Die Woche ansonsten: Drei 4000er-Besteigungen, eine herausragende Biwaknacht in der Schneehöhle und viele schöne Stunden in den Bergen. Und um Gerüchten vorzubeugen: Diese Woche ist Arbeit und Fortbildung, Erholung findet allerhöchstens unter der Dusche, nachts und beim Abendessen statt. Die langjährige Erfahrung aller Beteiligten in der Organisation und Durchführung dieses Kurses ist deutlich spürbar und ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Es sind allen zukünftigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern genauso viel erlebnisreiche Tage zu wünschen, wie wir sie hatten.