von Christoph Tannhof
Auch in diesem Jahr fand, veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für Berg- und Expeditionsmedizin, vom 23. bis 27. Januar die Neuauflage des Kurses Lawinenmedizin und Kälteschäden statt.
In Anbetracht der vorausgegangenen Großschneefälle an der Nordseite der Alpen, die regional bis zur höchsten Lawinenwarnstufe 5 geführt hatten, ein für jede/n bergsportlich und bergmedizinisch interessierten bzw. engagierte/n Ärztin/Arzt ein hochaktuelles Thema.
So fanden sich denn auch unter den Teilnehmer/Innen etliche „Wiederholungstäter/Innen“.
Lange etabliert ist der Kursleiter Dr. Ulrich Steiner (Anästhesist und Bergführer) unterstützt vom Urgestein der Bergmedizin Dr. Wolfgang Schaffert (Internist und Notarzt) sowie Jan Mersch und Pauli Trenkwalder als Psychologen und Bergführer, Dr. Simon Rauch (Internist, Notarzt, Forschungsgruppe EURAC Bozen) sowie Stefan Mertelseder und Stefan Hochstaffl als Flugretter und Anästhesiepfleger bzw. Hundeführer und Ausbildungsobmann in Österreich für die Ausbildung der Bergretter/Innen. Mehr Expertise ist nur schwer vorstellbar.
Nach Verteilung der Zimmer im durch Petra und Patrick überaus gastfreundlich geführten Bergsteigerhotel Lamm, Programmbesprechung und auch in Folge sehr gutem Abendessen erfolgte der Einstieg in den theoretischen Teil, der sich, verteilt über die gesamte Zeit, mit folgenden Themen beschäftigte:
Eine Risikoreduktion ist durch die Beantwortung der drei folgenden Fragen möglich:
Gefahrenstufe laut Lawinenlagebericht, Hangsteilheit und günstige bzw. ungünstige Hangexposition/Form, die letztlich Grundlage der von Jan Mensch entwickelten SnowCard sind.
Die Beantwortung setzt entsprechendes Grundwissen und Können voraus. Eine unter Sicherheitsaspekten gute Tourenplanung beginnt zu Hause und sollte vor Ort und im Einzelhang an festgelegten Checkpunkten überprüft werden. Ein Großteil der bislang dokumentierten Lawinenunfälle hätte unter Beachtung dieser Regeln verhindert werden können…
Wesentlich für die Entstehung der Schneebrettlawine (klassische Skifahrerlawine) ist ein Strukturbruch innerhalb einer Schwachschicht in der Schneedecke, der sich fortpflanzt. Zusätzlich zur Schwachschicht sind gebundener Schnee und eine Hangsteilheit über 30 Grad Grundvoraussetzung.
Eine Krise ist durch die subjektiv fehlenden Bewältigungsmöglichkeiten gekennzeichnet.
Für Lawinenopfer und Unfallbeteiligte sind in erster Linie traumatische Krisen relevant, die durch den Tod oder schwere Verletzungen der Beteiligten hervorgerufen werden. Es lassen sich 4 unterschiedliche Reaktionsmuster unterscheiden:
Die Diagnosekriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung PTBS nach DSM IV umfassen beharrliches Wiedererleben, anhaltende Vermeidung und/oder Abflachung der Reagibilität und erhöhtes Arousal. Erste Schritte zur Krisenintervention sind:
Bindung herstellen, explorieren und intervenieren.
Entscheidend für das Überleben nach Verschüttung sind die Kriterien Verschüttungsdauer, freie Atemwege und Verletzungsgrad. Bei einer vollständigen Verschüttung beträgt die Mortalität 52 %. Für teilverschüttete Lawinenopfer mit freien Atemwegen bestehen deutlich bessere Überlebenschancen. Im Falle einer Ganzverschüttung hängt die Mortalität wesentlich von der Dauer ab: kann die Rettung in bis zu 18 Minuten erfolgen, beträgt die Überlebenswahrscheinlichkeit 80 % - nach 30 Minuten nur noch 30 %.
Todesursache Nummer eins ist neben Traumaverletzungen in aller Regel eine Asphyxie durch Verlegung der Atemwege mit Schnee. Für ein längeres Überleben sind freie Atemwege und ein Hohlraum vor den Atemwegen absolute Grundvoraussetzung. Im weiteren Verlauf entwickelt sich das Tripple-H-Syndrom bestehend aus Hypothermie, Hypoxie und Hyperkapnie.
Zusammengefasst ist die häufigste Todesursache bei einer Verschüttungsdauer < 60 Minuten die Asphyxie, darüber ist auch ein hypothermer Herz Kreislaufstillstand möglich.
Bei Freilegung des Kopfes sollte eine Minute nach Vitalzeichen gesucht werden. Hypotherme Patienten müssen kontinuierlich überwacht werden. Durch unvorsichtige Lagerungsmaßnahmen können schnell maligne Rhythmusstörungen ausgelöst werden, wenn das kalte Blut der Körperschale mit dem noch warmen Blut des Körperstamms vermischt wird (Afterdrop!).
Bei Temperaturen unter 30 Grad ist eine Defibrillation nur selten wirksam. Daher sollten nicht mehr als drei Defibrillationsversuche unternommen werden. Medikamentengaben sind bei Temperaturen unter 30 Grad eben so wenig sinnvoll.
Muss ein tief hypothermer Patient (< 28 Grad) terrestrisch abtransportiert werden, kann eine intermittierende Reanimation mit fünf minütlichen Intervallen erfolgen.
Erfrierungen, die überwiegend im Bereich der Extremitäten auftreten, sind stadienabhängig (1-4) und mit einem zunehmenden Gewebetrauma bis hin zur Nekrose vergesellschaftet. Etabliert als Erstbehandlung ist die rasche Wiedererwärmung im Wasserbad (38 bis 42 °C) für 20 Minuten. Diese erfordert unbedingt eine effektive, nach Möglichkeit opiat-basierte Analgesie. Darüber hinaus sind Hämodilution, Thrombozytenaggregationshemmung (ASS oder Ibuprofen), Heparin und die intravenöse Gabe von Prostacyclinen wirksam. Eine erneute Kälteexposition nach Erwärmung ist unbedingt zu vermeiden, da diese zum irreversiblen Schaden führt. Über den weiteren Verlauf und ggfs. das Ausmaß einer notwendigen Amputation kann oft erst nach Wochen entschieden werden.
Die generalisierte Hypothermie wird in 4 Stufen unterteilt, die mit einer zunehmenden Einschränkung des Bewusstseins und der Vitalfunktionen einhergehen. Die niedrigste gemessene und überlebte Körperkerntemperatur betrug 13,7 Grad!
Am alpinen Notfallort ist eine Wiedererwärmung nicht möglich. Durch externe Wärmezufuhr (chem. Heat Pack`s etc.) und eine suffiziente Isolation versucht man ein weiteres Abkühlen zu verhindern. Über das weitere Management wird je nach Ausgangstemperatur und kardiorespiratorischer Situation entschieden.
Entscheidend für das weitere Vorgehen sind die Verschüttungsdauer und das Vorliegen oder Fehlen freier Atemwege. In Abhängigkeit davon erfolgt das weitere Vorgehen gemäß von der ICAR MEDCOM entwickelten Checkliste (Abb. 1) Die auch die Auswahl einer geeigneten nachversorgenden Klinik beinhaltet. Insbesondere die knappen Ressourcen zu einem Extra Corporal Life Support können bei Verwendung des Algorithmus gezielt eingesetzt werden.
Nach wie vor gilt der Grundsatz, dass schwer hypotherme Lawinenopfer mit freien Atemwegen erst nach Wiedererwärmung an der ECLS und ausbleibendem Reanimationserfolg für tot erklärt werden dürfen.
In einem sehr ausgewogenen Verhältnis von Theorie und Praxis fand an allen Tagen Praxisausbildung im Gelände statt. In durch die Ausbilder und Bergführer sehr gut und homogen kombinierten Gruppen wurden nach gemeinsamer Tourenplanung mittels Lawinenlage bzw. Wetterbericht, Kartenmaterial und Blick aus dem Fenster jeweils realistische Ziele im sehr vielfältigen und landschaftlich großartigen Tourengebiet um den Brennerpass ausgewählt.
Trainiert wurden die Gefahrenbeurteilung im Gelände vor Ort, die teils erheblich vom Erwarteten abwich und in Abhängigkeit davon die Routenplanung. Das Graben von Schneeprofilen und Durchführen des Extended Compression Tests schaffte Verständnis für die Komplexität der Schneedecke, die sich in die 10 angewendeten Gefahrenmuster übertragen lässt und zur präziseren Vorhersage des Risikos von Lawinenabgängen beiträgt.
Im Stationsbetrieb wurde strukturiert die Verschüttetensuche mittels LVS und Sonde ergänzt durch einen simulierten Hundeeinsatz - Dank an Stefan und Sky - geübt bzw. demonstriert.
Nebenbei sei die Bemerkung erlaubt: lange und steile Aufstiege - teils durch eisigen Föhnsturm, belohnt durch Abfahrten im allerfeinsten Pulver erfreuen auch das Herz von alpinistisch tätigen Ärztinnen und Ärzten bzw. ärztlich tätigen Alpinistinnen und Alpinisten.
Am letzten Kurstag fand eine große Lawineneinsatzübung statt. In einem sehr realistischen und professionell erstellten Szenario mussten vier teils ohne LVS Gerät Verschüttete gesucht, und entsprechend den gegebenen Informationen über Verschüttungsdauer, Körperkerntemperatur, Vorliegen einer Atemhöhle, Spontanatmung bzw. Kreislauf und evtl. Verletzungen geborgen und erstversorgt werden. Auch über einen Transport bzw. die notwendige Ausstattung einer zur Anschlussversorgung geeigneten Klinik (extrakorporalen Wiedererwärmung) war zu entscheiden.
Augenfällig wurde der große Unterschied zwischen den Kleingruppen und der Gesamtgruppe. Dieser konnte durch die fehlende Bereitschaft zum Führen bzw. geführt zu werden erklärt werden. Eine Klarstellung der Aufgaben für den Fall der Fälle vor Beginn einer Tour kann Verbindlichkeit und damit für den Verunfallten einen lebensrettenden Zeitgewinn schaffen.
Zusammenfassend für jede Kollegin und jeden Kollegen, der im Winter in den Bergen unterwegs ist eine unbedingt lohnende Veranstaltung.
Dr. Christoph Tannhof
Medizinische Klinik III
Johanniter Krankenhaus Rheinhausen
Kreuzacker 1-7, 47228 Duisburg
+492065971301
c.tannhof@johanniter-rheinhausen.de
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